ECHOS... 31. Saison 2024
Spielfreude, Schalk und ein Hochseilakt
Fein, sehr zart spielte die erst 17-jährige Leia Zhu die ersten Stücke des Konzerts. Mozarts Adagio aus dem Divertimento in B-Dur touchierte oft die Hörgrenze und auch Beethovens erste Sonate für Violine und Klavier war ganz auf Wohlklang, Eleganz und feines Violinspiel ausgelegt. Ein so bekanntes Stück in diesem Alter aufzuführen ist ein Hochseilakt, weil das Publikum die Stücke von grössten Interpreten gespielt kennt und zum Vergleichen neigt. Doch Leia Zhu schaffte den schwierigen Gang problemlos und mit einem eigenen Ansatz: dem der Schönheit und Poesie.
Nicht weniger schön, und doch ganz anders im zweiten Teil des Konzertmorgens: Sergei Prokofjews Sonate Nr. 2 bot die Möglichkeit zu expressivstem Musizieren. Wild, ungebärdig und doch mit äusserster Präzision spielten die Geigerin und ihr allzeit perfekter Klavierpartner Benjamin Engeli sich durch den Dschungel an Motiven und Klängen. Auch dies ein absturzgefährdeter Gang über unendliche Schwierigkeiten, die sie oft mit einem verschmitzten Strahlen quittierte, wenn sie mit grosser Virtuosität wieder eine besondere Passage gemeistert hatte. Emotionalität ist da von den Interpreten gefragt, offenlegen der Gefühle. Mal tänzerisch und froh, dann wieder düster, die ganze Bandbreite an Gefühlszuständen kam hier zum Ausdruck.
Mit offensichtlicher Freude am Spiel und viel Schalk gestaltete die Geigerin die kurze Hommage Castelnuovo-Tedescos am Mozarts Figaro. Das akrobatisch Mögliche des Violinspiels gipfelt hier in einer durchaus circensischen und äusserst überraschungsreichen Komposition, deren Hürden Leia Zhu mit scheinbar allergrösster Leichtigkeit und Spielfreude übersprang.
Mit diesem begeisternden Konzert haben wir die 31. Saison der Neuguet Konzerte abgeschlossen. Nächstes Jahr am 18. Mai 2025 eröffnen wir die 32. Saison und freuen uns schon heute darauf
Wir freuen uns auf Ihren Konzertbesuch.
Ihre KulturSchaffenden
Brita Ostertag und Philipp Bachofner
Traditionelle und Zeitgenössische Volksmusik vom Trio Ambäck
Markus Flückigers Schwyzerörgeli gab die ersten Klänge von sich, zaghaft erst, als ob die Töne noch nicht richtig aus dem Instrument wollten, dann gesellten sich Andreas Gabriels Geige und Pirmin Hubers Bassgeige dazu. Melodiös, etwas melancholisch klangen sie zusammen, schienen einen weiten Weg vom Balkan her hinter sich zu haben. Ein wenig Rumänien liess sich erahnen, und Ungarn hat wohl etwas beigesteuert. Doch das Stück hiess ganz Innerschweizerisch: Holzeggerli. Mit einem stampfendem Beat der Bassgeige ging das zweite Stück los, fast wie ein Zitat von Technomusik. Doch drunter lag ein Schottisch, oder war es eher eine Polka? Jedenfalls wild und ungestüm, da war der Saal erwacht. Auf dem Ambäck wurde angerichtet. Ambäck heisst im Muothathal der Scheitstock und so nennen die drei Musiker ihre Formation und so klang auch die Musik. Kräftig wurde in die Tasten und Saiten gelangt, sodass die Späne flogen. Musikalisch zum Mindesten. Die folgende Ballade in Walzerform begann suchend, sie fand in der Folge neue und überraschende Erzählwege. Überhaupt spielte Ambäck bis dahin sehr freie Interpretationen von Volksmusik, mit denen sie in konservativen Kreisen wohl anecken würden. Manche Weisen lagen näher bei Freejazz als beim klassischen Ländler und doch waren die Wurzeln immer durchhörbar und die Kurve zu tanzbarem Rhythmus erwischten sie jederzeit zwar mit ernstem Gesicht, aber sicher mit einem innerem Schmunzeln. Gegen Schluss kamen dann traditionellere Stücke zur Aufführung, mitreissend gespielt allemal, fröhlich, tänzerisch und auch melancholisch, aber immer poetisch, verspielt und mit etwas Schalk.
Nietzsche in der Blasmusik
Windgeräusche eröffneten das Konzert. Flüsternd und hauchend zuerst, dann brüllend spielte das KamBrass Quintett auf. B- und C-Trompeten, Flügelhorn, Posaune, Waldhorn, Tuba, Kornett kamen im Laufe der Matinee zum Einsatz. Alle Instrumente wurden mit verschiedenen Dämpfern gespielt und nur das Waldhorn beschränkte sich meist auf die normale Modulierung des Klangs mit der linken Hand. So entstand eine grosse klangliche Vielfalt und obschon mit einer Ausnahme alle Stücke im 20. Jahrhundert geschrieben wurden, offenbarten sich ganz unterschiedliche musikalische Welten.
Entwickelt wurde das Programm entlang Friederich Nietzsches Theorie des rationalen Apollinischen und seinem Gegenpart, dem ungezähmten Dionysischen. So wie das erste Stück des zeitgenössischen Dieter Ammann scheinbar dem Letzteren zuzuordnen war, zeigte es sich dennoch nach klaren Regeln und Strukturen komponiert. Dasselbe galt für Ammanns Lehrer Lutoslawski: Auch seine Mini-Ouvertüre von 1982 war lesbar, beziehungsweise hörbar strukturiert, zeigte aber eine viel bekanntere und dabei sehr fröhliche Musikwelt auf. Mit Victor Ewald ging das Programm noch einen Schritt zurück in der Musikgeschichte. Von 1912 stammt seine Komposition. Da war der Philosoph mit dem wuchtigen Schnauzbart zwar schon tot, hatte seine Wirkungsmächtigkeit aber noch lange nicht erreicht. So stand hier das Harmonische im Vordergrund und liess die fünf jungen Musiker auch mal in den eigenen wunderschönen Klängen schwelgen.
Die beiden Stücke von Enrique Granados wurden dem Dionysischen zugeordnet, sie waren zwar auch nach klaren Kriterien komponiert, aber dabei trunken schön, direkt in die Seele oder ins Herz fahrend oder vielleicht wären sie auch gerne etwas tiefer unten in die Beine gefahren, auf dass dazu hätte getanzt werden können. Joan Guinjoan liess in seinem «Vectoriel» die beiden Götter aufeinander prallen. Geplantes und mindestens scheinbar Improvisiertes wechselten sich ab und zeigten, dass vielleicht die Vermischung der beiden Prinzipien durchaus zu packender Musik führen kann. Die jüngste Komposition folgte zum Schluss. Marc Hunzikers Stück Windspiel knüpfte an den Anfang an und entliess einen mit ganz ungewohnten Klängen in den Sommertag.
Gitarrenmusik von Spanien bis Italien
Joaquim Malats «Serenata Española» entführt mit feinen Klängen in die Welt des Flamenco, einer musikalischen Welt, die man von der Gitarre durchaus erwarten würde. Was dabei in der Interpretation der jungen deutschen Gitarristin Laura Lootens überraschte, war die sensible Musikalität und dass das Grobe, das dem Flamenco oft beigemischt wird, darin keinen Ausdruck fand. Sie spielte in einer poetischen Stimmung, als würde die Sonne erst die ersten Strahlen auf die noch nachtkühle Mancha legen.
Die Musikerin hat bereits in jungen Jahren höchste Auszeichnungen für ihr Spiel erhalten, als Conferencière hätte sie ebensolche verdient. Jedes Stück führte sie mit kurzen Anekdoten ein und wies auf Eigenheiten und Besonderheiten hin.
Isaac Albeniz’ «Asturias» spielte sie trotz grosser Ruhe mit einer durchgehenden Spannung, in der auch die ganz langsamen Stellen und Pausen tragend klangen.
Joaquin Rodrigo hat mit «Invocation y Danza» Manuel de Falla die Ehre erwiesen und eine Geschichte von Zwangsverheiratung und Rache vertont. Themen anspielend und verwerfend beginnt das Stück bevor sich die Akkorde zu Tanzweisen gruppieren und zu Melodien werden, um die Geschichte tastend und verhalten zu erzählen.
Damit verliess Lootens Spanien und wandte sich der Italienischen Musik zu.
Niccolo Paganini war nicht nur ein Teufelsgeiger, sondern auch einer der ersten Gitarristen. Das Instrument war zu seiner Zeit noch jung und es gab noch wenig Literatur, die speziell dafür geschrieben wurde. So steuerte der Virtuose gleich einiges zum Repertoire bei. Das sollte sich trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Herausforderungen, vor die es die Interpreten stellt, über die Zeit hinweg dort auch behaupten.
Für Nunccio d’ Angelos «Due Canzoni» mussten zwei Saiten tiefer gestimmt werden, und mit ihren Erläuterungen zum Stück erntete Laura Lootens eine wohlmeinende Heiterkeit aus dem Publikum. Die Umstimmung ergab allerdings einen melancholischen Klang, die Musik schien in ein düsteres Licht getaucht. Auch wenn das letzte Stück von Mario Castelnuovo auf dem Programm «Capriccio Diabolico» hiess, das Zurückstimmen der Gitarre liess die Musik eher himmlisch klingen, die Finger glitten über die Saiten, als wäre es eine Leichtigkeit, wie ein Kinderspiel, von forte bis pianissimo, von verhalten bis expressiv. Kein Wunder, es war als eine Hommage an Paganini gedacht.
Zu viert mit einer Stimme
Mit sieben Tönen erweist Mendelssohn laut Progammblatt Mozart die Referenz. Doch wo sind sie zu hören? Der glasklare Klang des Leonkoro Quartetts lässt einem akademische Analysen sogleich vergessen. Duchhörbar bis zur letzten Saitenschwingung spielen die vier jungen Musikanten Jonathan Schwarz und Amelie Wallner, Geige, Mayu Konoe mit der Viola und der Cellist Lukas Schwarz Mendelssohns Streichquartett op. 4 mit romantischem Schmelz, aber ohne jeden unnötigen Zuckerguss. Im Scherzo heben die Violinen zu einem wilden Tanz an, während die Viola einen leicht melancholischen Kommentar dazu gibt und das Cello den Klangraum nach unten hin abschliesst. Im Andante herrscht ein gemütlicher, gemessener Gang vor, aber das abschliessende Presto beginnt mit einem musikalischen Blitzlicht. Es folgt ein Gewittersturm, der zuletzt in eine dramatische Auflösung mündet.
Anders in Johannes Brahms’ Quartett op. 51. Das einführende Allegro beginnt in einer düsteren Stimmung, sich im Kreis drehend, um innehaltend zu einem Schluss oder vielleicht Entschluss zu kommen, der an ein zweifelndes oder verzweifelndes Selbstgespräch erinnert. Dieser Gedanke zeigt auch, dass die Darbietung wie aus einer Stimme herauskommt, alles wie aus einem Guss. So werden die vier Stimmen zu einer einzigen, man kann die romantische Schwelgerei geniessen, sich in den Armen von Brahms Musik auch der Melancholie hingeben und mithören, denn plötzlich sind die anfänglich gesuchten sieben Töne hier. In absteigender Folge beschliessen sie das Allegretto und führen über zum Schlussallegro. Hier hat das Zweifeln ein Ende, Brahms scheint mit sich ins Reine gekommen zu sein und lässt seinerseits wiederum Blitz und Donner auffahren. Er hat hier zu einer abschliessenden Aussage gefunden. Auch bei diesen temperamentvollen Passagen klingen die vier Instrumente als wären sie ein einziges.
Die abschliessende Zugabe von Puccini eröffnete das Cello wiederum schwelgerisch und lud dazu ein, nochmals die Lider zu senken und sich ganz den Melodien hinzugeben.
Auftakt im Zeichen der Faune
«Prélude à l’après-midi d’un faune» eröffnete die einunddreissigste Saison der Neugutkonzerte. Als wüssten die Faune von einem kommenden heissen Nachmittag, räkelten sie sich schon genüsslich im Vorspiel etwas im Licht der kommenden Sonnenstrahlen und sprangen auf und ab im Labyrinth der Notenlinien.
J. S. Bachs Doppelkonzert für zwei Flöten, Streichquartett, Klavier und Kontrabass ging dagegen flott los, Vivace heisst der erste Satz und drückt Lebensfreude und Temperament aus, die Faune sind dabei restlos erwacht und tanzen über die Sechzehntel und Zweiunddreissigstel Noten, beleitet von den Streichern und dem Klavier.
Die folgende Komposition des Pianisten Edward Rushton sei, so erläuterte er es zu Anfang, eine Musik, die helfen könne zu vergessen, was gar nicht gewesen sei. Sie eigne sich auch zum Einschlafen. Nun, soweit ging niemand, aber das Hin- und Her der sich abwägenden Klangfolgen, die immer ganz ruhige Stimmung, der sich auch das Klavier unterzog, war zwar spannungsreich, aber nie aufregend. Man dachte vielleicht: «Was kommt jetzt?» oder man suchte Vergleiche zu anderen Kompositionen, minimal Music vielleicht, oder man hing einfach im Rhythmus der Musik seinen eigenen Visionen und Träumen nach. Aber: eingeschlafen ist niemand.
Bei Samuel Barbers Adagio für Quartett konnten sich Brita Ostertag und Philipp Bachofner in der Rolle der Faune und der Pianist Edward Rushton etwas zurückziehen. Das Modulor Quartett aus den vier jungen Musikern Gregor Hänssler und Beatrice Harmon Violinen, Mila Krasnyuk Viola und Karl Stauber am Cello nahm die Stimmung aus dem vorherigen Stück auf. Schwingende Klänge mit verhaltener Emotion leiteten über zu einem fröhlichen Schluss mit Debussys Petite Suite, die laut Satzüberschriften zu einer Schifffahrt, zwei Tänzen und einem Ballett einlädt und entliess das Publikum in den Sommertag, wo man zwischen den Bäumen noch den Einen oder Anderen der Faune vermuten konnte.